Grüner Wasserstoff wird rückverstromt

Stadtwerk Haßfurt nutzt hochinnovatives Wasserstoff-BHKW
Hier wurde erstmals in der kommunalen Praxis eine wasserstoffbasierte und CO2-freie Speicherkette für regenerativen Strom umgesetzt.

Zahlen & Fakten

Anwendungsgebiet:
Energieversorger und Energiedienstleister
Land:
Deutschland
BHKW:
agenitor 406 H2
el/th Leistung (kW):
150 kWel / 172 kWth
Betreiber:
Stadtwerk Haßfurt GmbH

„Die Energiewende fängt im Kleinen an“ – mit diesem  Satz bringt Norbert Zösch, Chef der Stadtwerk  Haßfurt GmbH, die Philosophie des Versorgers der ca. 14.000 Einwohner zählenden Gemeinde Haßfurt im bayerischen Unterfranken auf den Punkt. Dabei wurde schon lange „groß“ gedacht, wenn es um die Transformation des Unternehmens und seiner  Dienstleistungen für eine Energiezukunft auf Basis erneuerbarer Energien ging. Die Stadtwerk Haßfurt  GmbH bildet zusammen mit der Städtische Betriebe GmbH (Nahwärme und Freizeiteinrichtungen) sowie der Rechenzentrum Haßfurt GmbH das Dreigestirn der Städtischen Betriebe. 

Leitlinie für die Anpassung an die Herausforderungen der Energiewende waren die vier Megatrends Demographie, Digitalisierung, Dekarbonisierung und nicht zuletzt Dezentralisierung. Als Folge einer für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit notwendig erachteten Dezentralisierung sieht das Stadtwerk Haßfurt große Herausforderungen auf sich zukommen. 

Zunächst steht im Vordergrund der Beweis, dass eine sichere und wirtschaftlich wettbewerbsfähige Stromversorgung auf Basis erneuerbarer Energien möglich ist durch den Einsatz sich ausgleichender Erzeugungstechnologien unter Verwendung von Speichern. Dabei ist auch die Wärmeversorgung nicht aus dem Blick geraten, denn bereits heute wird ein erheblicher Teil des  Wärmebedarfs für die Nahwärmeversorgung im Stadtgebiet regenerativ abgedeckt durch die Nutzung der Abwärme der Biogasanlage (2,35 MW), der Solarkollektoren und von weiteren EE-Anlagen. 

Mix aus Erzeugungstechnologien mit Power to Gas 
Die Strombilanz des Stadtwerks Haßfurt der Jahre 2010 bis 2017 weist einen rasant ansteigenden Anteil an erneuerbarer Erzeugung aus. Belief sich der zunächst noch auf 29 Prozent, so hatte man 2015 schon die Marke von100 Prozent erreicht und bilanzierte in 2017 bei rund 85.000 MWh einen Anteil von 208 Prozent. Wobei etwa 70.000  MWh aus Sonnen- und Windenergie resultierten. Im Sinne der Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit stellte insbesondere der große  Sprung der mit Windkraft erzeugten Strommenge von knapp 2.400 MWh in 2010 auf rund 61.000  MWh in 2017 das Haßfurter Stadtwerk vor neue  Herausforderungen. 

Bereits im Oktober 2016 nahm die Windgas Haßfurt GmbH & Co. KG – ein Gemeinschaftsunternehmen des Stadtwerks Haßfurt und der Hamburger Ökoenergiegenossenschaft Greenpeace  Energy – eine Power to Gas-Anlage (PtG)  in Betrieb. Herzstück der Anlage ist ein containergroßer PEM-Elektrolyseur des Typs Silyzer 200 von Siemens mit 1,25 MW Spitzenleistung. Die hochmoderne Anlage am Mainhafen wandelt überschüssigen Strom aus dem nahen Bürgerwindpark Sailershäuser Wald sowie aus weiteren Windenergie- und Solaranlagen in  erneuerbaren Wasserstoff um, auch Windgas genannt. Pro Jahr erzeugt der Elektrolyseur eine Million Kilowattstunden des Öko-Gases, das für die knapp 20.000 Windgas-Kunden von Greenpeace Energy in das Gasnetz eingespeist wird. Dort kann es prinzipiell auch über lange Zeiträume gespeichert und später wieder verstromt werden. 

Damit sind Windgas-Anlagen wie in Haßfurt ein wichtiger Baustein für eine erfolgreiche Energiewende: Sie machen erneuerbare Energien in enormen Mengen langfristig speicherbar und gewährleisten so auch bei hohen Anteilen  erneuerbarer Energien Versorgungssicherheit. Elektrolyseure auf Basis der PEM-Technologie (PEM = polymer electrolyte membrane) wandeln überschüssigen Wind- und Solarstrom  mit einem Wirkungsgrad von etwa 70 Prozent in Wasserstoff und sorgen so dafür, dass jede  Kilowattstunde an grünem Strom tatsächlich genutzt werden kann und die Erneuerbaren-Anlagen nicht abgeregelt werden müssen, wenn das Stromangebot die Nachfrage übersteigt oder das Netz den Strom nicht aufnehmen kann. 

Die PEM-Anlagen in Containergröße sind äußerst reaktionsschnell, denn der Elektrolyseur verändert binnen Millisekunden automatisch seine Leistung, um die Frequenz im Netz zu stabilisieren und so beispielsweise Blackouts durch Netzüberlastung zu verhindern. In Haßfurt bietet der Elektrolyseur diese Leistung  über den Partner Next Kraftwerke als Teil eines „virtuellen Kraftwerks“ an, bei dem mehrere Anlagen zusammengeschaltet werden. Durch dieses „Regelleistungsangebot“ können Elektrolyseure  über die Wasserstoffproduktion hinaus Einnahmen erwirtschaften. Die Anlage, für die es keine Förderung gab, hat circa zwei Millionen Euro gekostet. „Das Geschäftsmodell der Windgas Haßfurt GmbH beruht darauf, dass die Investitionskosten innerhalb von zehn Jahren erwirtschaftet werden“, erläutert Norbert Zösch,  Geschäftsführer der Stadtwerk Haßfurt GmbH, die wirtschaftliche Grundlage für die Investition. 

Bei der Elektrolyse wird Wasser in Sauerstoff –  der in die Umgebungsluft abgelassen wird – und Wasserstoff mit einem hohen Reinheitsgrad aufgespalten. Im PEM-Elektrolyseur in Haßfurt  läuft der Vorgang bei einer Temperatur zwischen ca. 30 und 70 °C und bei einem Druck von 35 bar ab. Das Gas wird anschließend getrocknet, um ihm möglichst viel Feuchtigkeit zu entziehen. Eine Wasseraufbereitungsanlage entmineralisiert das eingesetzte Wasser, bevor es in die Elektrolyse-Stacks geleitet wird, in denen der eigentliche Prozess abläuft.

Neue technische Ära mit Inbetriebnahme des ersten Wasserstoff-BHKW 
Mit der erfolgreichen Inbetriebnahme eines hochinnovativen Wasserstoff-Blockheizkraftwerks (H2-BHKW) zur Rückverstromung von regenerativ gewonnenem Wasserstoff im Juni 2019 hat das Stadtwerk Haßfurt die bestehende Power-to-Gas Anlage (PtG) erweitert. Das Vorhaben wurde durch das Bayerische Staatsministerium  für Wirtschaft, Landesentwicklung und  Energie (StMWi) gefördert. Beim installierten BHKW handelt es sich um einen agenitor 406  H2 von 2G mit einer elektrischen Leistung von 140 kW beim Betrieb mit Wasserstoff. Projektpartner sind die Stadtwerk Haßfurt GmbH, die 2G Energy AG aus Heek und das Institut für Energietechnik (IfE) an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden. 

Das Blockheizkraftwerk ermöglicht – im Unterschied zur bisher praktizierten Beimischung von Wasserstoff in das Erdgasnetz mit Rückverstromung über konventionelle BHKW – einen  Betrieb mit reinem Wasserstoff ohne fossile Brennstoffanteile. Damit wurde erstmals in der kommunalen Praxis eine wasserstoffbasierte  und CO2-freie Speicherkette für regenerativen Strom umgesetzt. Auf Basis einer nunmehr einjährigen Betriebserfahrung kann festgestellt werden, dass die hohen Erwartungen an das  System hinsichtlich Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit erfüllt werden. 

Die Speicherkette führt von der Stromerzeugung aus Windenergie über die Umwandlung  in Wasserstoff mittels Elektrolyse sowie die Speicherung in Drucktanks bis zur Rückverstromung über Kraft-Wärme-Kopplung. Der Wasserstoffspeicher erlaubt einen Dauerbetrieb des BHKW für ca. 15 Stunden und steigert damit die Flexibilität des Gesamtsystems ganz erheblich. 

Flexible Reaktion auf Stromüberschüsse  oder Unterdeckungen 
Norbert Zösch bewertet die Vervollständigung der Speicherkette als einen wichtigen Beitrag für den Ausgleich von Erzeugung und Bedarf: „Da sowohl die PtG-Anlage als auch das H2-BHKW eine hohe Dynamik aufweisen, können mit dem Gesamtsystem Elektrolyseur – Speicher – H2-BHKW Stromüberschüsse und Unterdeckungen aus der erneuerbaren Stromerzeugung im lokalen Bilanzkreis oder übergeordnet mit Regelenergie im Verteilnetz ausgeglichen werden.“ 

Das BHKW agenitor 406 H2 hat die 2G Energy AG als anschlussfertige Containerlösung geliefert. Frank Grewe, CTO der 2G Energy AG, erwartet einen zunehmenden Bedarf an H2-BHKW: „Nach  der ersten Installation eines H2-BHKW bereits in 2012 am Flughafen BER in Berlin haben wir in Haßfurt den nächsten Schritt mit einem Standard-BHKW der agenitor-Baureihe gemacht,  das für die wahlweise Nutzung von reinem Wasserstoff,  einem Wasserstoff/Erdgas-Gemisch oder Erdgas kostengünstig angepasst wurde. Der sichere und flexible Betrieb im Rahmen einer zukünftigen breiten Nutzung von PtG-Konzepten mit BHKW ist ein wichtiger Eckpunkt für die Entwicklungsarbeit bei 2G.“ Weitere Aufträge wie die Lieferung eines H2-BHKW an Siemens in 2019 für ein Projekt auf der arabischen Halbinsel und an den Rostocker Anlagenbauer APEX sowie für die Quartierslösung „Neue  Weststadt Esslingen“ in 2020 bestätigen diese  Erwartung hinsichtlich der Marktentwicklung. 

Das H2-BHKW in Haßfurt verfügt über einen zweiten Gasanschluss für einen Wechsel in den Erdgasbetrieb, wobei dann die elektrische Nennleistung 200 kW beträgt. Grewe sieht noch entwicklungstechnisches Potenzial für die Leistung von H2-BHKW im Vergleich zum Erdgasbetrieb: „Eine signifikante Erhöhung der Nennleistung im Wasserstoffbetrieb annähernd auf das Niveau der mit Erdgas betriebenen Maschinen ist ein mittelfristiges Entwicklungsziel. Neben der sicheren Anlagenverfügbarkeit steht also die weitere Senkung der spezifischen Produktions-  und Betriebskosten von H2-BHKW im Fokus der Entwicklungsarbeit bei 2G.“

Das Projekt wird wissenschaftlich-technisch durch das Institut für Energietechnik an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden begleitet. Die Forscher erhoffen sich aus dem Vorhaben einerseits praktische  Erkenntnisse und Langzeiterfahrungen zum Wasserstoffbetrieb von Blockheizkraftwerken, andererseits dient das Modul im Konsortium  auch als Forschungsplattform für Weiterentwicklungen der H2-BHKW-Technologie und wurde daher mit speziellen Messtechnik-Zugängen  ausgestattet. 

Auszeichnungen für die Vorreiterrolle 
Während die Umsetzung der Energiewende im  nationalen Rahmen an vielen Ecken und Kanten Fahrt verloren hat oder „klemmt“, wie z. B. beim Zubau von Windkraftanlagen und dem Ausbau der Übertragungsnetze, beweist ein relativ kleines Stadtwerk wie Haßfurt, dass die Energiewende mit einem dezentralen Ansatz möglich ist. Denn neben der Erzeugerseite sind u. a. über das Nahwärmenetz auch die Verbraucher in das Konzept mit einbezogen. Mit einem Batteriespeicher (8 MWh) und zwei weiteren Speichern kann der sog. Dunkelflaute wirksam begegnet werden. Der flächendeckende Roll-out von 10.000 Smart Metern im Zeitraum 2008-2011 und nicht zuletzt die Einbeziehung der Haushalte im Rahmen von Prosumer-Projekten mit „stromerzeugenden  Heizungen“ haben die Akzeptanz der Bürger gefördert. Ohne diese breite Akzeptanz auf Kundenseite wäre die Umsetzung einer Vorreiterrolle in Sachen Energiewende sicher nicht möglich gewesen. Auf die diversen Auszeichnungen wie den Bayerischen Energiepreis 2018 oder die Einstufung als „Perle der Energiewende“ durch die Heinrich Böll-Stiftung kann man in Haßfurt  demzufolge berechtigt stolz sein. Die Prämierung  als „BHKW des Jahres 2019“ durch die Jury des B.KWK Bundesverband Kraft-Wärme-Kopplung e. V. und die Fachzeitschrift Energie & Management stellt somit das „Sahnehäubchen“ an Anerkennung. 

Download

Referenzen

Ähnliche Projekte